GrossmütterRevolution
Kosten alte Menschen mehr, als sie leisten? Dieser Frage ging die von der GrossmütterRevolution organisierte Gesprächsrunde in der Alten Mühle in Langenthal nach. Das Fazit: ein ganz klares Nein.
Irmgard Bayard
Alte Menschen kosten viel, sie sind reich und leisten sich teure Ferien. Immer wieder hört man solche Aussagen. Dabei geht oft vergessen, wie viel Betreuungs- und Freiwilligenarbeit diese Generation leistet. Ein Thema, dem sich das RegioForum Oberaargau der GrossmütterRevolution in einer Gesprächsrunde in der Alten Mühle in Langenthal annahm.
Engagierte Diskussion mit (von links) Martina Moser (Moderation), Franziska Ryf, Stephan Bösiger, Monika Lang und Bernadette Gasche.
Nach dem kurzen Einführungsvideo «Wirtschaft ist Care» nannte Moderatorin Martina Moser, Gemeinderätin Soziales, Langenthal, einige Zahlen: Jährlich werden 660 Millionen Stunden Freiwilligenarbeit geleistet, was einer Lohnsumme von acht Milliarden Franken entspricht. Bei der Care-Arbeit, also der Betreuung, sind es jährlich 16 Milliarden Stunden, mehr als die Hälfte davon werden nicht bezahlt. Gerade Care-Arbeit wird grösstenteils von Frauen erledigt. «Ein Bericht des Eidgenössischen Departements des Innern zeigt auf, dass ältere Menschen bis zum Alter von 80 Jahren mehr unentgeltliche Arbeit leisten, als sie beanspruchen», erklärte Martina Moser. «Frauen werden fälschlicherweise als hauptsächliche Kostenverursacherinnen bezeichnet, weil sie in der Regel älter werden als Männer. Dabei geht vergessen, dass sie in ihrem ganzen Leben viel Care-Arbeit leisten und geleistet haben.»
Finanzielle Nachteile
Dem stimmte Bernadette Gasche zu. Die Juristin war zusammen mit Stephan Bösiger, Pfarrer in Langenthal, Monika Lang, Co-Präsidentin des Frauenvereins Herzogenbuchsee sowie Franziska Ryf von der Seniorebrügg Langenthal und Umgebung als Gesprächsteilnehmende geladen. «Es ist statistisch erwiesen, dass Frauen ihr bezahltes Arbeitspensum oft reduzieren, um Angehörige zu pflegen», bestätigte Bernadette Gasche aus ihrer Berufserfahrung. «Dies hat Nachteile, unter anderem bei der Karriereplanung und hat rechtliche Folgen bei der Rente, einer allfälligen Scheidung und sogar bei einer Erbschaft.» Denn von der AHV allein kann man nicht leben. Frauen jedoch, welche den Job reduzieren oder aufgeben, können kaum Rücklagen fürs Pensionsalter sparen.
Positive Empfindungen
Die Diskussion zeigte aber auch auf, dass Freiwilligenarbeit überhaupt nicht als negativ empfunden werden muss. «Sie entlöhnt nicht monetär, aber auf eine andere Art», so Stephan Bösiger. «Sie kann Freude bereiten und Befriedigung bieten.» Als Nächstenliebe möchte er sie deshalb nicht verstanden haben. «Denn Nächstenliebe kann man weder einfordern noch erzwingen.»
Franziska Ryf war 20 Jahren lang nicht berufstätig. «Dass ich nicht gearbeitet habe, stimmt so jedoch nicht. Ich habe die Kinder und den Haushalt betreut», betonte sie. Das heisst, auch die Sprache hat einen Einfluss auf die Anerkennung einer Tätigkeit. Dass sie sich in verschiedenen Vereinen aktiv betätigte und noch betätig sieht sie als Bereicherung.
Zeitguthaben und Sozialausweis
Einig waren sich die Diskussionsteilnehmenden darin, dass für eine bessere Anerkennung der Freiwilligen- und Care-Arbeit Politik und Wirtschaft gefordert sind. «Gerade in Unternehmen braucht es Flexibilität», ist Monika Lang überzeugt. Sie führt zusammen mit ihrem Mann die Firma Lang Heizungen AG. «Wir haben eine nachhaltige Personalpolitik eingeführt, damit können wir als Arbeitgeber attraktiver werden.»
Die Benachteiligung vieler Frauen bei der Care-Arbeit war denn auch nach der Öffnung der Diskussionsrunde bei den rund 35 Anwesenden ein Thema. «Die Aufklärung fehlt, was diese Aufgabe finanziell bedeuten kann», findet eine Teilnehmerin. «Die Verantwortung, junge Frauen aufzuklären, liegt an uns.» Eine weitere Diskussionsteilnehmerin zeigte sich schockiert, dass das Rentenalter für Frauen erhöht werden soll. Die Geburt und Erziehung der Kinder würden dabei ausser Acht gelassen. «Dagegen müssen wir uns wehren.» Das Sammeln von Zeitguthaben und das Ausstellen eines Sozialausweises kamen ebenfalls zur Sprache. Ersteres sei schwierig zu kontrollieren, befand die Juristin und über etwas wie das das zweite, so die Gemeinderätin, werde derzeit wieder diskutiert. Klar zeigte sich aber auch, was ein Teilnehmer sagte: «Gerechtigkeit kann man nicht aus der Ökonomie schaffen, sondern nur über den politischen Weg.» Und ein weiteres Fazit: Freiwilligen- und Care-Arbeit sind nicht zuletzt eine Herzenssache.
Die GrossmütterRevolution ist Think Tank, Netzwerk und Plattform der heutigen Grossmütter-Generation und ein Projekt für alle Frauen, unabhängig, ob sie biologische Grossmütter sind oder nicht. Diese soziale Bewegung nimmt gesellschaftsrelevante Anliegen zum Alter, Frausein und der Generationen auf, bearbeitet sie und lässt sich dazu verlauten.